Wolf im Häschenpelz
Artikel im Designreport 5|18
Animojis, die animierte Version von Apple’s Emojis, zielen auf eine emotionale Interaktion beim Versand von Kurznachrichten: Ein niedlicher Avatar übernimmt Tonlage und Mimik des Nutzers. Doch lasst uns hinter die Fassade dieser charmanten Spielerei schauen
Im Designstudium lernt man früh, dass Produktdesign die Objektfunktion betonen und dabei möglichst attraktiv aussehen soll. Der Anblick von Rasierern beispielsweise scheint zu versprechen, er könne die Beschaffenheit der Haut erkennen und sensibel darauf reagieren. Die Methode funktioniert auch umgekehrt: Statt ein Produkt aufzuwerten, werden seine Qualitäten heruntergespielt. Das Verfahren kommt gern zur Anwendung, wo sensible Themen wie Datenschutz berührt werden. Womit wir beim Animoji wären.
Im November des vergangenen Jahres hat Apple sein iPhone X vorgestellt – und mit ihm ein digitales Subprodukt: die Animojis.
Das Animoji ist ein Kommunikationstool, das es ermöglicht, kurze Videonachrichten über ausgewählte Chatkanäle zu versenden. Die Besonderheit besteht darin, dass die Mimik des Sprechers dabei in Echtzeit auf die Maske eines Tier-Avatars aus Apple’s Animoji-Galerie übertragen wird. Die Sprachnachricht der besten Freundin wird so beispielsweise von einem Kätzchen überbracht, das die Nase genauso rümpft oder beim Lachen die Augen ebenso zusammenkneift wie die Freundin.
Animojis sehen genau so aus wie Emojis, selbst der Name klingt beinahe identisch. Durch solche Parallelen wird leicht übersehen, dass Animojis Eigenschaften aufweisen, die sie grundlegend von den Emojis unterscheiden. Emojis sind digitale Sticker, die als Additiv einer Nachricht angefügt werden, um dieser einen emotionalen Touch zu geben und die Stimmung des Absenders zu unterstreichen. Ihr großer Bruder ist das Emoticon, das erfunden wurde, als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte, um Ironie in Textnachrichten sichtbar zu machen: ;-). Animojis hingegen sind mitnichten ein Anhängsel, vielmehr ein Medium, das den Inhalt der Nachricht über die Tonlage und die Mimik des Sprechers vermittelt.
Dieses Medium lädt nicht nur zum performativen Umgang ein, es birgt auch die Möglichkeit zur Interaktion auf zwei Ebenen: Einerseits animiert der Sprecher das Animoji, andererseits verführt es aber auch den Sprecher dazu, es mit dem Minenspiel zu übertreiben, um reizvollere Ergebnisse zu erzielen. Denn Animojis wirken umso niedlicher, je extremer der Absender seine Gefühle artikuliert. Was wiederum auf den Sprecher zurückwirkt, beeinflussen sich Mimik und Gefühlslage doch gegenseitig: Wer sich glücklicher darstellt, als er ist, wird sich – für den Moment – womöglich auch besser fühlen. Animojis können also deutlich mehr als ihre vermeintlichen Vorgänger. Weshalb sich die Frage stellt: Warum tut ein Produkt so, als ob es nur die Fortsetzung eines Stickers ist? Dazu lohnt sich ein Blick auf True Depth, der technischen Grundlage der Animojis. True Depth besteht aus einem Komplex von Sensoren, Projektoren und Kameras, der in der Lage ist, in Echtzeit ein 3-D-Modell des Gesichts seines Nutzers zu berechnen. Diese Modelle beruhen auf der Physiognomie des Nutzers, weshalb dieser auch nach Veränderungen – einem neuen Bartschnitt oder dem Auftragen von Schminke – erkannt wird.
Deshalb wird True Depth im iPhone X gleich für mehrere Funktionen eingesetzt, insbesondere für die Face-ID, eine Entsperrfunktion, die auf Blickkontakt beruht und in den USA auch verwendet werden kann, um Geldtransaktionen in Gang zu setzen. In den meisten Anwendungen ist True Depth für den Nutzer kaum spürbar – das Programm agiert subtil im Hintergrund. Ganz anders verhält es sich in der Interaktion mit den Animojis: Wer die kleinen Tiergesichter zum ersten Mal animiert, wird fast unvermeidlich beginnen, Grimassen zu schneiden und mit den Animationen herum zu albern. Animojis zielen auf eine emotionale Interaktion – und eine nicht unwesentliche Rolle spielt dabei ihre Niedlichkeit.
Wenn der Nutzer sich einen Avatar aussucht, kann er aus einer Vielzahl von Tierkindern auswählen. Ob Panda oder Affe – sämtliche Tiere sind so stringent nach dem Kindchenschema gestaltet, dass ihre natürlichen Eigenschaften nicht mehr zur Geltung kommen. Das Kindchenschema – große Augen, runde Wangen, kleine Stupsnase– ist, bei Menschen ein Schlüsselreiz, und gilt spätestens seit Sanrios Hello Kitty als ein probates Mittel zur Ertragssteigerung. Design, das auf Niedlichkeit setzt, hat aber auch noch eine weitere Eigenschaft, die vor allem in der Gestaltung von Hightech-Produkten vermehrt Anwendung findet. Wir begegnen niedlich aussehenden Dingen eher unvoreingenommen und unkritisch, akzeptieren funktionale Fehler leichter und reagieren umso erstaunter, wenn sie – obwohl sie so süß sind – einwandfrei funktionieren. Animojis funktionieren selbstverständlich einwandfrei, denn sie sind mitnichten Tierkinder, sondern das Ergebnis eines aufwendigen Entwicklungsprozesses.
Wie eine Technologie von der Gesellschaft aufgenommen wird, ob sie als bedrohlich, erheiternd oder verheißungsvoll angesehen wird, hängt maßgeblich von ihrer Präsentationsform ab. Würde ein Programm wie True Depth statt als süßer, lachender Panda als ein Werkzeug des Militärs oder als hilfreiche Brille vorgestellt, würde die Technologie in einem anderen Licht erscheinen. Brisant an True Depth ist die Verarbeitung von Daten der Gesichtsscans. Denn anders als Kennwörter, Codes oder persönliche Daten, können die Folgen eines Datensatzes des eigenen Gesichts nicht mehr rückgängig gemacht werden. Animojis kaschieren diesen Effekt, indem sie als harmloses Spielzeug auftreten.
Am Prinzip Animoji wird sichtbar, dass sich der Verantwortungsbereich des Designers verschoben hat. Es geht nicht mehr allein darum, die Interpretation einer Technologie so einfach und barrierefrei wie möglich zu gestalten, auch ihre Potenziale sollten erkennbar werden.